Einen kleinen Rückblick auf ein in vieler Hinsicht ereignisreiches Jahr geben

Liebe Unterstützer*Innen

Wir möchten euch einen kleinen Rückblick auf ein in vieler Hinsicht ereignisreiches Jahr geben. Corona hatte nicht nur die Schweiz fest im Griff, sondern hatte auch einen sehr grossen Einfluss auf die Situation der Menschen auf den ägäischen Inseln. Griechenland ging Ende April in einen harten Lockdown. Während dieser Zeit musste ein Grossteil der Organisationen ihre Arbeit vollständig niederlegen. Nur die essentiellsten Leistungen konnten weiter erbracht werden. In einer Zeit, in der wir zuhause bleiben und unsere Kontakte beschränken sollen und Händehygiene wichtiger ist denn je i, wurde auch deutlicher denn je wie prekär die Bedingungen in den Flüchtlingscamps sind.

Mely Kiyak schrieb am 15.09.2020 in der «Republik»: Ein Lager, das muss man vielleicht noch einmal erklären, ist ein Ort, der aus Menschen Niemande macht. Wer in Moria oder einem der anderen vier Camps auf den ägäischen Inseln – auf Chios, Leros, Samos und Kos – endet, war einst ein Mensch mit einem Namen und einem Zuhause. Einem Recht auf Leben, einer Würde und dem Irrglauben, Gleiche unter Gleichen zu sein. Wo ein Mensch aufbrach, um sein Leben zu retten, und als Irgendwer irgendwo gefangen gehalten wird, lässt sich nicht mehr von Zuflucht und Schutz sprechen. Wo Menschen in Lagern enden, beginnt das Unrecht.

Foto: Refugees4Refugee

In den Sommer-Monaten konnten viele Organisationen ihre Arbeit unter strengen Auflagen wieder aufnehmen. Die Freiwilligen vor Ort haben in dieser Zeit grossartige Arbeit geleistet. Viele von ihnen sind länger geblieben als geplant. Da zum Schutz der Inselbewohnenden den neu ankommenden Freiwilligen eine 10-tägige Quarantäne auferlegt wurde,  ging die Anzahl kürzerer Hilfseinsätze stark zurück. Als am 9. September mehrere Brände fast das ganze Camp Moria zerstörten, wurden rund 10’000 Menschen obdachlos. Strassenbarrikaden wurden errichtet, Fluchtwege abgeschnitten und gar Tränengas von der Polizei gegen die fliehenden Menschen eingesetzt. Unmittelbar im Anschluss wurden etwa 9’200 Menschen in einem neuen provisorischen Zeltlager untergebracht und wenige hundert Minderjährige aufs Festland evakuiert. Kurz vor dem Brand wurden die ersten COVID-19-Fälle im Camp bestätigt und das gesamte Lager wurde von der Aussenwelt abgeriegelt. Nur noch eine kleine Anzahl Menschen durften täglich das Lager für wichtige Termine verlassen. Auch die Arbeit der freiwilligen Helfenden wurde erschwert, da nicht mehr allen NGOs Zugang zum Lager gewährt wurde.  Dadurch hat sich die humanitäre Lage bereits vor dem grossen Brand zugespitzt. Weniger mediale Aufmerksamkeit erhielt ein kleinerer Brand am 20. September im Vathy Camp auf Samos. Dabei wurden Wohncontainer für unbegleitete Minderjährige zerstört, welche zwischenzeitlich temporär in Hotels untergebracht wurden. Leider breitete sich auch hier das Coronavirus rasant aus und die Menschen durften das Lager kaum mehr verlassen. Nur wenige Wochen später, am 30. Oktober, kam es zu einer Naturkatastrophe: Ein Erdbeben mit Stärke 6.7 auf der Richterskala erschütterte die Ägäis. Das Beben löste einen Tsunami aus, die Wellen erreichten eine Höhe von 1.5 Metern. Auf Samos kamen zwei Menschen ums Leben und 19 weitere wurden verletzt. Etwa 30 Gebäude auf der Insel stürzten ein, weitere 150 wurden beschädigt. Einige Gemeinschaftszentren und Unterkünfte unserer Partnerorganisationen konnten danach aufgrund der Schäden für lange Zeit nicht mehr genutzt werden.

Foto: https://www.samos24.gr

nsgesamt sitzen zurzeit ca. 19’500 Menschen auf den ägäischen Inseln fest. Etwa die Hälfte (46 %) der Menschen stammt ursprünglich aus Afghanistan, 18 % aus Syrien, 7% aus der Demokratischen Republik Kongo, 7 % aus Somalia und 6 % aus Palästina. Ein Drittel davon sind minderjährig, wovon 70 % jünger als 12 sind. 6% aller Minderjährigen sind unbegleitet. Frauen machen 21 % aus. Dass die Transfers auf das Festland zeitweise wieder intensiviert wurden, entlastete zwar die Inseln, führte jedoch dazu, dass sich die Situation auf dem Festland immer schwieriger gestaltet. Ende Oktober hielten sich in ganz Griechenland etwa 120’000 Menschen auf der Flucht auf, etwa 20’000 davon auf den griechischen Inseln. Dank eurer grosszügigen Spenden konnten wir auch in diesem schwierigen Jahr zusammen mit unseren Partnerorganisationen die Menschen auf der Flucht sowohl in Samos wie auch auf Lesbos in verschiedenen Bereichen unterstützen.
Im Bereich der medizinischen Grundversorgung auf Samos konnten wir in diesem Jahr weiter auf die hervorragende Arbeit von Med’EqualiTeam zählen, die trotz der strengen Covid-19 Massnahmen immer sichere Wege fanden, die medizinische Versorgung der Camp-Bevölkerung zu unterstützen. Wir konnten auch dieses Jahr die Betriebskosten der Klinik übernehmen sowie zusätzlich mehrere Grosseinkäufe von Medikamenten und Schutzausrüstung tätigen. Ebenfalls unterstützen wir das Freiwilligenteam, das während dem Lockdown länger auf Samos geblieben ist, bei der Deckung ihrer Verpflegungskosten. Auf Lesbos konnten wir während der ersten Corona-Welle die medizinischen Freiwilligenorganisationen Boat Refugee Foundation und Kitrinos mit grosszügigen Spenden unterstützen, da diese insbesondere aufgrund der benötigten Schutzausrüstung viel höhere Ausgaben als normal zu stemmen hatten. Beide Organisationen arbeiteten direkt in Moria und halfen dabei, die medizinische Grundversorgung auch während dem Lockdown sicherzustellen. Da die normalen Busverbindungen zwischen Moria und dem Spital in Mytilini für lange Zeit ausgefallen sind, halfen wir der Healthbridge Foundation vorübergehend einen wichtigen Patienten-Shuttledienst einzuführen.
Im Bereich der materiellen Unterstützung vulnerabler Asylbewerber*Innen haben wir auch dieses Jahr eng mit unseren Partnern von Refugee4Refugees auf Samos und Lesbos zusammengearbeitet. Des Weiteren konnten wir ihr neues Projekt in Athen unterstützen. Dieses unterstützt obdachlose anerkannte Flüchtende, die nicht mehr in den offiziellen Unterkünften unterkommen, mit der Bereitstellung winterfester Zelte, die mit der Zustimmung der Behörden in einem separaten Bereich des Eleonas Camps aufgestellt werden konnten. Auf Samos ergänzten wir fehlende Items für die Verteilung von Non-Food-Items an besonders vulnerablen Gruppen. In diesem Rahmen tätigten wir Grosseinkäufe mit Unterwäsche, Hygieneprodukte oder Flip-Flops. Vor Kurzem haben wir wieder eine regelmässige Zuwendung zur Deckung der operativen Kosten des Betriebs des humanitären Warenlagers sowie der Hilfsgüterverteilungen auf Samos vereinbart.
Da uns die Rechtsberatung und -vertretung im Asylwesen sowie die Verteidigung der Menschenrechte besonders am Herz liegen, bauten wir unsere Arbeit in diesem Bereich aus: Anfang Jahr unterstützten wir die Avocats sans Frontières (France) auf Samos bei ihrem Rechtsberatungsprojekt, bis diese im Zuge der Coronakrise zum Entscheid kamen, ihre Freiwilligen zu repatriieren. In der Folge verschoben wir unser Engagement nach Lesbos. Einerseits unterstützten wir die Organisation Better Days mit einer einmaligen Spende in ihrer Arbeit der Familienzusammenführung unbegleitete Minderjähriger Andererseits gingen wir eine neue Partnerschaft mit der etablierten Legal Aid und Advocacy Organisation Legal Centre Lesvos ein. Dabei ermöglichen wir die Anstellung einer griechischen Anwältin, die nun seit Juli in komplizierten Fällen Asylbewerber*Innen bei den Interviews vertritt, begründete Rekurse bei negativen erstinstanzlichen Asylentscheiden einreicht oder Beschwerden einlegt bei mangelhaft begründeten Inhaftierungen. Wir sind sehr zufrieden mit dieser neuen Zusammenarbeit und möchten sie auch im 2021 fortführen. Da durch vertrauliche Quellen auf Samos zunehmend Menschenrechtsverletzungen dokumentiert werden, haben wir uns zu einer weiteren Zusammenarbeit entschieden: : Gemeinsam mit Choose Love/Help Refugees und in enger Kooperation mit den NGOs vor Ort finanzieren wir eine freie Anwältin, die sich nun seit September voll und ganz auf solche Fälle fokussiert. Nicht nur hat sie bereits mehrere Beschwerden in Vertretung von Asylbewerber*Innen eingereicht, sondern auch einfach durch ihre Präsenz solche Misstritte der Behörden verhindert.
Unsere Projekte in der Schweiz konnten leider teilweise nicht wie geplant stattfinden. Die Kleidersammlung mussten wir absagen, da wir die Sicherheit unserer Helfer*innen nicht sicherstellen konnten. Deshalb konnten wir leider keinen Container mit Winterkleidern nach Samos schicken. Auch das Cash for Trash, an dem wir in den letzten Jahren jeweils einen Stand betrieben, wurde abgesagt. Im Sommer waren wir dennoch wieder am Kulturfestival mit unserer Bechersammlung vertreten. Ein riesen Dankeschön nochmals an das Team des Kulturfestivals, dass ihr uns trotz der schwierigen Situation die Möglichkeit gegeben habt dabei zu sein!
Rückblickend konnten wir trotz erschwerter Umstände auch dieses Jahr wieder viel bewirken.  Dies ist nur dank eurer grossartigen Unterstützung möglich!  Hoffentlich gibt es im nächsten Jahr eine Gelegenheit, bei der wir uns persönlich bei euch bedanken können!

Wir wünschen euch ruhige Festtage! Bleibt zuhause und bleibt gesund.
Euer aid hoc-Team